Das Digitorial® zur Ausstellung
27.11.2024 - 23.3.2025
Amsterdam – die europäische Metropole des 17. Jahrhunderts. Wirtschaft und Handel boomen, die Bevölkerung wächst rasant, Kunst und Wissenschaft florieren. Eine einflussreiche Bürgerschaft prägt die Geschicke der Stadt – festgehalten in bedeutenden Gemälden der größten niederländischen Meister. In den Amsterdamer Gruppenbildnissen spiegelt sich der Stolz der Stadtgesellschaft. Doch wie blicken wir heute auf das „Goldene Zeitalter“?
Geringe Fläche, kaum Rohstoffe, wenige Einwohner: Dass die junge Republik der Vereinigten Niederlande im 17. Jahrhundert zu Macht und Reichtum gelangt, scheint mehr als unwahrscheinlich. Und doch steigt eine Stadt im Norden innerhalb von wenigen Jahrzehnten zur internationalen Handelsmetropole auf.
Selbstbewusst präsentiert die Stedenmaagd, die Personifikation von Amsterdam, den Plan zur Stadterweiterung. Die antike Götterschar nimmt ihn wohlwollend in Augenschein. Aus dem Wasser wird ein reich gefülltes Horn dargeboten – aller Überfluss kommt vom Meer.
Wie es die Männer in den alten Zeiten erzählten, dass da ein Land war, wo Milch und Honig flossen, so ist es wahrhaftig [...] hier in Amsterdam.
Melchior Fokkens, 1665
In nur 250 Jahren wächst Amsterdam vom Fischerdorf zur Handelsmetropole. Der vielversprechende Arbeitsmarkt sowie die Aussicht auf politische und religiöse Freiheit ziehen zehntausende Menschen an. Über neue Seehandelsrouten gelangen Waren aus aller Welt nach Amsterdam.
Der Aufschwung Amsterdams gipfelt in der Abspaltung von der spanischen Krone. Die mächtigsten Familien der Stadt sind bereits zum Calvinismus übergetreten. Fortan sind Bildstiftungen religiöser Themen verboten. Das Interesse an neuer Kunst erwacht: Es entstehen Porträts wohlhabender Bürger, Stadtansichten und Alltagsszenen.
Machtwechsel in Amsterdam
Amsterdam platzt aus allen Nähten. Zwischen 1600 und 1662 explodiert die Bevölkerungszahl von 40.000 auf 210.000. Die regierenden Bürgermeister beschließen eine Erweiterung des Stadtgebiets im Nordwesten um ein Drittel.
Calvinistische Tugenden wie Disziplin, Fleiß und Arbeitseifer werden zur Basis für den wirtschaftlichen Erfolg Amsterdams – denn Wohlstand gilt als Zeichen göttlicher Erwählung. Auch der in Frankfurt geborene Johann Lingelbach findet in der aufstrebenden Stadt eine neue Heimat und hält den lebhaften Alltag auf dem großen Dam-Platz im Bild fest.
Hunderttausende Menschen leben in Amsterdam – doch alle Entscheidungsmacht liegt in den Händen von Wenigen. Diese einflussreiche Stadtelite ist eng mit der Niederländischen Ostindien-Kompanie (Vereenigde Oostindische Compagnie, kurz: VOC) verbunden. Das Handelsunternehmen ist die treibende Kraft hinter dem wirtschaftlichen Erfolg der Vereinigten Niederlande – und steckt auch hinter ihren gewaltsamen kolonialen Aktivitäten.
Die Kehrseite der „Goldenen Zeiten“
Der florierende Handel der ganzen Stadt konzentriert sich ab 1611 auf die Amsterdamer Börse – einem Umschlagplatz für Waren aus aller Welt. Erstmals bietet sich hier wohlhabenden Bürgern, Kaufleuten, Handwerkern und sogar einfachen Mägden und Knechten die Möglichkeit, das eigene Privatvermögen in Aktien zu investieren.
Fortan lässt man das Geld für sich arbeiten. Die Spekulation mag riskant sein – aber auch äußerst lukrativ. Besonders beliebt ist der Erwerb von Aktien der VOC: Das private Kapital finanziert in Summe ganze Flotten und Kompanien. Der Aktienhandel gilt auch als patriotischer Akt und trägt zum enormen Wirtschaftswachstum der Niederlande bei.
Hier ist die Börse, und ’s Geld, und Liebe zur Kunst.
Thomas Asselijn, 1654
Gleich neben dem Eingang zum Innenhof der Börse preist ein Kunsthändler seine Waren an. Nirgendwo zeichnet sich der Wirtschaftsboom deutlicher ab als auf dem Kunstmarkt: In den Vereinigten Niederlanden entstehen 70.000 Gemälde pro Jahr. Diese Epoche wird als „Goldenes Zeitalter“ in die Kunstgeschichte eingehen.
Auch Rembrandt zieht es 1631 in die blühende Metropole. Der Ruf eines exzellenten Malers und Grafikers eilt ihm voraus. Mit lebendig wirkenden Porträts überzeugt er seine Kundschaft und baut rasch ein Netzwerk aus einflussreichen Auftraggebern auf. Der Name Rembrandt wird ein Garant für erstklassige Kunst.
SCHUTZ UND ORDNUNG
Nicht für jeden zugänglich: Nur wer die Waffen für die einflussreiche Bürgerwehr selbst finanzieren kann, wird als Mitglied akzeptiert. In repräsentativen Gemälden lassen sich diese exklusiven Männerbünde darstellen. Mit den Schützengilden entsteht das bürgerliche Gruppenporträt – eine Bildgattung, die es in dieser Fülle nur in Amsterdam gibt.
Wie einen wehrhaften Wall inszeniert Cornelis Anthonisz die städtische Schützenkompanie. Kopf an Kopf, in Reih und Glied – so wurden traditionell Stifter in Heiligenbildern dargestellt: Vor Gott sind alle Gläubigen gleich. Doch die Augenhöhe der Schützen trügt. In den Gilden herrscht eine strenge Rangordnung.
Ehre, Pflicht und Hierarchie
Das berühmteste Schützenbildnis der Welt – doch nur wenige wissen: In Rembrandts „Nachtwache“ rückt eine bewaffnete Kompanie zum Streifzug aus. Die Schützen sollen nicht nur feindliche Angriffe von außen abwehren, sondern auch für Ordnung innerhalb der Stadt sorgen.
Entschieden löst sich Rembrandt von der starren Komposition früherer Gruppenporträts. Das dramatische Bild beeindruckt so sehr, dass es schon kurz nach seiner Fertigstellung mehrfach kopiert wird.
Und um diese Figuren zu malen, nahm man [...] jene, die damals als große Meister galten.
Johannes Isaacsz Pontanus, 1614
In den prächtigen Gruppenporträts spiegeln sich Wohlstand und Macht der Amsterdamer Bürger. Sie zieren die Wände der Schützenhäuser. Deren Festsäle dienen sogar dem Stadtrat als repräsentative Versammlungsorte.
Vom Schützen zum Stadtrat: Durch die Professionalisierung der niederländischen Armee verlieren die Amsterdamer Schützengilden im 17. Jahrhundert an Bedeutung. Vier ehemalige Offiziere lassen sich in ihrer neuen Rolle porträtieren. Sie sind vermögend, angesehen und calvinistisch – strikte Voraussetzung für das ehrenvolle Amt eines Regenten. Ihre edlen schwarzen Roben heben sich deutlich von den einfacheren Leinenstoffen der Wirtsfamilie ab.
Eine Stadt, viele Gesichter
Der Blick hinter die glänzende Fassade des vermeintlichen „Goldenen Zeitalters” offenbart eine bedrückende soziale Ungleichheit.
Die Familie eines erblindeten Drehleierspielers zieht von Tür zu Tür und bittet um Gaben. Rembrandts gedruckte Blätter rücken auch arme, kranke oder alte Menschen in den Blick – eine Annäherung an die Lebenswirklichkeit all jener, die sonst kaum dargestellt werden.
Arme und Kranke sind üblicherweise an den Amsterdamer Stadtrand verbannt. Nur einmal im Jahr werden sie in einem feierlichen Umzug auf dem zentralen Dam-Platz zur Schau gestellt, um Spenden für städtische Hilfseinrichtungen einzuwerben.
Diese Darstellung ist in Wahrheit eine sorgfältig konstruierte Inszenierung: Das Bild entsteht im Auftrag einflussreicher Regenten. Sie leiten eine Einrichtung für Leprakranke und setzen hier ihre Bedeutung für die Stadtgesellschaft in Szene.
Vom Rattenfänger bis zum Regenten: In der sozialen Struktur der Amsterdamer Stadtgesellschaft hat jeder seinen festen Platz. Die mehrheitlich calvinistische Bevölkerung glaubt an ein vorherbestimmtes Schicksal. Während Wohlstand als Zeichen göttlicher Gnade angesehen wird, gilt Armut als Prüfung des Glaubens. Das Verhältnis von Arm und Reich wird als gottgegeben verstanden. Ein sozialer Aufstieg ist fast unmöglich.
Soziale Fürsorge war traditionell eine Aufgabe der katholischen Kirche. Durch die Machtübernahme der Calvinisten und den gleichzeitigen rasanten Bevölkerungszuwachs entsteht eine enorme Herausforderung. Die Stadtverwaltung muss karitative Tätigkeiten fortan selbst übernehmen.
Gegründet von wohlhabenden Bürgern der Stadt führt Amsterdam bereits seit etwa 1523 eine Einrichtung für elternlose Kinder. Das Bürgerwaisenhaus übernimmt 1580 das aufgelöste St. Lucienkloster samt Stiftungsvermögen und Ländereien. Die Finanzierung wird durch ordentliche Pachteinnahmen, aber auch Steuergelder und Spenden sichergestellt.
Neue Werte – neues Denken
Republiken, die ihre fähigen Bürger am höchsten schätzten, widmeten der Erziehung ihrer Kinder die größte Aufmerksamkeit.
Johan van Beverwyck, 1664
Die sechs Regenten des Bürgerwaisenhauses sind am Arbeitstisch versammelt. Einige Kinder werden hereingeführt, um offiziell aufgenommen zu werden. Diese Einrichtung ist ausschließlich Nachkommen von verstorbenen Amsterdamer Bürgern vorbehalten. Hier sollen sie versorgt, unterrichtet und zu mündigen Mitgliedern der Stadtgesellschaft erzogen werden.
Männliche Regenten verwalten die Finanzen und Bautätigkeiten. Damals ungewöhnlich: Auch Frauen übernehmen als Regentinnen führende Positionen in einigen sozialen Einrichtungen – wenn auch mit eingeschränkten Befugnissen und ohne Aufstiegschancen. Im Bürgerwaisenhaus überwachen sie die Hygiene und andere häusliche Angelegenheiten.
Im Mittelpunkt und doch nur Beiwerk: Ein Mädchen wird vor die Regentinnen des Bürgerwaisenhauses geführt. In einem großen Buch sind alle Schützlinge sorgfältig gelistet. Die Namen der Regentinnen sind bis heute überliefert, im Gegensatz zu dem des Kindes.
700 bis 1.000 elternlose Kinder beherbergt allein das Bürgerwaisenhaus im 17. Jahrhundert. Durch Kriege, Seuchen und die rasant wachsende Einwohnerzahl ist die Not in Amsterdam dramatisch angestiegen.
Fürsorge mit Profit
In Amsterdam nehmen sich gleich mehrere Einrichtungen verwaister Kinder an. Das 1657 gegründete Diakoniewaisenhaus beherbergt protestantische Kinder, deren Eltern keinen vollen Bürgerstatus besaßen. Für Kinder von verarmten Eltern sieht sich ab 1613 wiederum das Almosenhaus zuständig. Im Bürgerwaisenhaus herrschen verhältnismäßig gute Zustände: Während die Kinder sich hier zu zweit ein Bett teilen, müssen in anderen Einrichtungen bis zu fünf von ihnen zusammen schlafen. Im Diakoniewaisenhaus gibt es nicht annähernd genug Suppenschüsseln für jedes Kind.
Das breit aufgefächerte System der sozialen Einrichtungen bietet Abhilfe in größter Not. Doch die strengen Aufnahmebedingungen begünstigen auch eine starke Hierarchie innerhalb der Amsterdamer Stadtgesellschaft, aus der die Menschen nur schwer ausbrechen können.
Helfen mit Auflagen
Armut soll aus dem Stadtbild verbannt werden: 1613 tritt in Amsterdam ein Bettelverbot in Kraft. Doch keiner ist vor Notfällen gefeit. Daher wird noch im gleichen Jahr das Almosenhaus gegründet. Die Unterstützung ist aber an feste Bedingungen geknüpft.
Hungrige speisen, Fremde beherbergen, Kranke pflegen oder Tote bestatten: Pieter Aertsen zeigt die sieben Werke der Barmherzigkeit. Dieses katholische Bildthema der christlichen Nächstenliebe klingt in einem Werk eines unbekannten Künstlers noch einmal an. Das Anknüpfen an die katholische Bildtradition war im calvinistischen Amsterdam ausschließlich im Almosenhaus möglich. Denn nur hier durften die Vorsteher auch katholisch sein.
Ein auffälliger Mühlsteinkragen und reich bestickter Seidenstoff: Die schwarze Robe des Almosenhausvorstehers entspricht der eher schlichten Kleiderordnung des Calvinismus – und doch erzählen die Details von einer aufwendigen Herstellung.
Das kostbare Gewand des Vorstehers steht im harten Kontrast zur naturfarbenen Kleidung der Bedürftigen. Sie hoffen, im Almosenhaus neue Wäsche zu erhalten. Denn selbstständig von Haus zu Haus zu ziehen und um Gaben zu bitten, ist untersagt. Wer dennoch dabei erwischt wird, muss mit Strafen rechnen und beispielsweise Zwangsarbeit in der Textilproduktion leisten.
Mode als gesellschaftliches Statement
Strenge Voraussetzungen: Die sechs Vorsteher des Almosenhauses gewähren ausschließlich den „rechten Armen“ Unterstützung. Ihrem Verständnis nach sind das mittellose, aber arbeitswillige Menschen, die aus Amsterdam stammen oder seit mindestens drei Jahren dort leben. Nur wenn die Kriterien erfüllt sind, können zum Beispiel Erkrankte auf Kosten des Almosenhauses versorgt oder in einer Einrichtung untergebracht werden. Doch auch wer als Reisender registriert ist, kann kurzzeitig im Almosenhaus Unterschlupf finden, genauso wie Handwerkerkinder, die in Amsterdam in die Lehre gehen.
Die Vorsteher prüfen bei Hausbesuchen, ob der Empfang von Almosen aus ihrer Sicht gerechtfertigt ist: Rigoros verweigern sie die Unterstützung, wenn die Bedürftigkeit angeblich auf ein allzu ausschweifendes Leben zurückzuführen ist.
Schwer krank und doch bemüht: Das Gemälde gibt einen intimen Einblick in eine einfache niederländische Wohnstube. Dass die Bedürftigkeit der Familie nicht selbstverschuldet ist, deutet der Künstler durch die Darstellung emsig verrichteter Tätigkeiten an.
Ein Detail am rechten Bildrand verrät: Das Almosenhaus übernimmt auch die Bestattungskosten für diejenigen, die sich ihre letzte Ruhestätte nicht leisten können.
Hilfe unter Vorbehalt
Die Schere zwischen Reichtum und Armut ist groß in Amsterdam. Im Laufe des 17. Jahrhunderts ändert sich zudem das Verhältnis von Wohltat und Bedürftigkeit: Die Existenz von Armut ist notwendig, damit einflussreiche Stadtbürger ihre Barmherzigkeit zur Schau stellen können. Damit geht die Aufwertung des eigenen Standes und die Verfestigung der sozialen Ordnung einher. Eine vollständige Beseitigung von Armut scheint in diesem System unerwünscht.
Ein humaneres Strafsystem? Nur auf den ersten Blick. Kleinere Verbrechen werden fortan in Zuchthäusern verbüßt. Doch diese verfolgen auch wirtschaftliche Interessen. Und noch immer droht bei schweren Vergehen die Todesstrafe. Ohne Skrupel werden die Hingerichteten der Totenruhe beraubt und ihre Leichname der Forschung zur Verfügung gestellt.
Dieser Anblick ist kaum zu ertragen: An der Zufahrtsstraße nach Amsterdam werden hingerichtete Kriminelle zur Schau gestellt – ein brutales Zeichen der Abschreckung. Zugleich ist das Galgenfeld ein Ort des makaberen öffentlichen Spektakels, das ausgestattet mit Essens- und Getränkeständen auch Künstler anzieht.
Nach calvinistisch geprägter Überzeugung sollte jeder Mensch seinen Beitrag zur Gesellschaft leisten. Dies erfordert eine Reform des Strafrechts. Denn die jahrhundertelange, brutale Praxis der körperlichen Bestrafung, etwa Verstümmelung oder Brandmarkung, vermindert die Arbeitsfähigkeit. So eröffnet 1596 mit dem Rasphuis das erste Zuchthaus für Männer in Amsterdam.
Hier herrschen Disziplin und Ordnung. Castigatio, die Personifikation der Züchtigung, wacht als Skulptur über den Innenhof des Rasphuis. Im Gebäude führen die Regenten die Geschäfte der Haftanstalt. Mit strenger Disziplin und harter Arbeit soll hier Straftätern wieder auf den rechten Weg verholfen werden.
Strafrecht im Wandel
Die geschäftlichen Interessen der Regenten sind von wirtschaftlichen Überlegungen bestimmt. Mit den Inhaftierten verfügen sie über kostengünstige Arbeitskräfte. Die Härte des Strafvollzugs im Rasphuis ist kaum vorstellbar.
Eine Strafe, bitterer als der Tod.
Dirk Volckertsz Coornhert, 1587
Kraftakt hinter Gittern: Mühsam treiben zwei Männer die Säge durch den Stamm. Das für seine Härte bekannte Rotholz importieren die Niederländer aus dem kolonialisierten Brasilien. Aus den fein geraspelten Spänen wird das wertvolle Brasilin gewonnen, das dem Färben von Textilien dient. Auf dieses Verfahren halten die Regenten des Rasphuis ein Monopol.
Die inhaftierten Männer zu „besseren“ Menschen zu formen – dazu gehört auch die religiöse calvinistische Erziehung. Der wöchentliche Besuch des Gottesdienstes ist für die Insassen des Rasphuis Pflicht.
Schaulust und Mahnung
Regentinnen und Regenten gleichrangig in einem Bild – ein seltener Anblick. Gemeinsam führen sie das Amsterdamer Frauenzuchthaus Spinhuis. Bei wöchentlichen Sitzungen beraten sie über finanzielle Angelegenheiten und die Qualität der Arbeitsergebnisse.
Im Hintergrund wird der raue Alltag der zur Handarbeit gezwungenen Frauen angedeutet. Die meisten von ihnen sind wegen Bettelei oder Prostitution verurteilt worden.
Tatbestand Prostitution
Ordentlich frisiert und in ansehnlicher Kleidung sind die Verurteilten den neugierigen Blicken schaulustiger Besucher ausgesetzt. Tagtäglich werden die Frauen im Spinhuis zum Nähen, Stricken und Spinnen gezwungen.
Die Tätigkeiten haben eine hohe symbolische Bedeutung: Schon in der antiken Mythologie vertreibt sich Penelope mit Weben die lange Wartezeit bis zur Rückkehr ihres Ehemanns Odysseus. Auch im Amsterdam des 17. Jahrhunderts steht die geduldige Handarbeit für die tugendhafte Treue der Hausfrau.
Mit den Zuchthäusern hält eine neue Form der Bestrafung in Amsterdam Einzug. Die Todesstrafe wird allerdings erst 1870 abgeschafft.
Tod für die Wissenschaft
Die härteste Strafe: Zum Tode Verurteilten wird eine ordentliche Bestattung verwehrt. Damit nimmt man ihnen nicht nur die letzte Würde, sondern nach christlicher Vorstellung auch das Seelenheil. Einige der Körper werden für anatomische Studien zur Verfügung gestellt.
Die Amsterdamer Meisterchirurgen lassen sich gemeinsam mit dem Dozenten Dr. Sebastiaen Egbertsz ins Bild malen. Auf dem Seziertisch liegt eine Leiche. Kein Christ hätte damals einer freiwilligen Körperspende zugestimmt. Doch die Seele eines Hingerichteten, so ist man sich einig, sei ohnehin nicht mehr zu retten.
Haut lehrt ohne Worte. Sterbliche Überreste, wenn auch in Fetzen, warnen davor, nicht für Verbrechen zu sterben.
Caspar Barlaeus, 1639
Einmal im Jahr können die Meisterchirurgen bei einer öffentlichen Vorlesung im Anatomischen Theater grundlegende Kenntnisse über den menschlichen Körper erlernen. Das Interesse an den Vorlesungen ist groß – auch zahlende Gäste dürfen der Obduktion beiwohnen. So ermöglicht die Chirurgenzunft einen makabren Wissenszugang.
Blick der Erkenntnis?
Fünf Chirurgen lassen sich mit dem dozierenden Doktor Egbertsz porträtieren. Im Mittelpunkt: das Skelett eines hingerichteten englischen Seeräubers.
Zweimal wöchentlich findet der Unterricht in Körperbau und Knochenlehre statt. Durch die Teilnahme wird die Qualität der damals praktizierten Heilkunst sichergestellt. Aufwändige Operationen übernehmen ausschließlich akademisch geschulte Doktoren. Weniger gut ausgebildete Chirurgen führen in ihren Geschäften kleinere Eingriffe wie den Aderlass durch.
Rembrandt erhält von der Chirurgengilde den Auftrag für ein Gruppenporträt. Der Höhepunkt seines Erfolgs liegt da bereits hinter ihm. Er soll die Mediziner bei der Anatomievorlesung des Dr. Jan Deijman darstellen. Heute fehlt ein Teil des Bildes: 1723 beschädigt ein Brand die Leinwand. Nur die Skizze lässt erahnen, wie groß das Gemälde einst war.
Rembrandt platziert den Leichnam mit dem Gesicht frontal zum Betrachter und verleiht ihm porträthafte Züge. Dadurch erhält der tote Körper scheinbar wieder eine Seele. Mit viel Feingefühl entwickelt der Künstler seine eigene Deutung einer Autopsie. Die Inszenierung des Hingerichteten führt die Endlichkeit des eigenen Lebens vor Augen.
Rembrandt stirbt 1669 völlig verarmt. Etwa zur gleichen Zeit endet auch der wirtschaftliche Aufstieg Amsterdams, denn kriegerische Auseinandersetzungen verschlingen immer mehr öffentliche Gelder. Trotzdem bleibt die Republik der Vereinigten Niederlande bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die reichste Region der Welt.
In meisterhaften Gemälden begegnet uns der wirtschaftliche Aufschwung Amsterdams im 17. Jahrhundert. Der Eindruck einer blühenden Vergangenheit hat bei genauerer Betrachtung jedoch auch eine schmerzhafte Kehrseite: Sie erzählt von Armut, Unterdrückung und Ausbeutung.
Blickfang
Heißes Fett und süßer Teig: Angelockt vom unwiderstehlichen Duft versammelt sich mitten auf der Straße eine Schar von Menschen um eine Pfannkuchenbäckerin. Die wenigen, meist erschwinglichen Zutaten machen den Pannekoek zu einem beliebten Leckerbissen für alle. Rembrandt gelingt mit seiner Radierung eine feinfühlige Schilderung – ein Moment voller Glück in einer ansonsten harten sozialen Realität. Gekonnt setzt er detailliert ausgearbeitete, dunkle Netzstrukturen neben nur grob Angedeutetes: Die Pfannkuchenbäckerin wird zum Ruhepol seiner Darstellung.
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